Exotische Baumaterialien im Portrait: Es muss nicht immer Stahlbeton sein
Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Klimakrise und der Wohnraumknappheit muss Bauen sich wandeln. Daher bekommen herkömmliche Baumaterialien derzeit zumindest in experimenteller und kleinserieller Hinsicht mächtig Konkurrenz – sowohl der futuristischen als auch sehr altertümlichen und obendrein der alternativ genutzten Sorte.
Warum sollte jemand zirkuläre Baustoffe kaufen, statt herkömmliche, neue Baustoffe im normalen Handel? Ja, natürlich, ein bisschen wegen der Kosten. Vor allen Dingen aber, weil es eine unheimliche Verschwendung ist, Baumaterialien nach einmaliger Nutzung zu entsorgen.
Bloß: Wenn bei uns und anderswo die immer drängendere Wohnraumnot aktiv bekämpft werden soll, dann werden noch für lange Zeit mehr Bauten errichtet werden müssen als deren Materialbedarf allein durch zurückgebaute Immobilien bestritten werden könnte.
Das erzeugt eine Herausforderung: Egal ob es Beton ist, ob Ziegelsteine oder je nach Waldbewirtschaftung sogar Holz. Viele „moderne“ oder bessergesagt „herkömmliche“ Baustoffe sind in Sachen Energiebedarf bei der Herstellung und teils dem dahinterstehenden Abbau alles andere als nachhaltig.
Ein Beispiel von vielen: Um nur einen Kubikmeter Beton herzustellen benötigt man zirka 2.750 Megajoule Energie. Das sind umgerechnet knapp 765 Kilowattstunden – 1.300 Kilowattstunden entsprechen dem jährlichen Stromverbrauch eines Einpersonenhaushalts. Selbst, wenn die Betonindustrie derzeit viel unternimmt, um wenigstens CO2-neutral zu werden, so ändert sich doch am Energieverbrauch selbst nichts. Der ist physikalisch bedingt.
Angesichts solcher Werte wird derzeit intensiv an weniger problematischen Baustoffen geforscht. Dabei verfolgt die Entwicklung vier Richtungen:
- Völlig neue Baustoffe.
- Baustoffe aus Materialien, die bislang nur anderweitig eingesetzt wurden.
- Rückgriffe auf traditionelle, jedoch aus der Mode gekommene Stoffe.
- Herkömmliche Baustoffe, die jedoch durch spezielle Techniken mit viel weniger Material auskommen.
Aus einigen dieser Kategorien stellen wir auf den folgenden Zeilen „exotische“ Baustoffe vor. Sie könnten in gar nicht allzu langer Zeit eine ziemliche Bedeutung erlangen.
1. Carbonbeton
Warum müssen nach traditionellem Rezept mit Stahlbewehrung gebaute Betonbauteile eigentlich so massiv überdimensioniert sein? Ganz einfach: Je nach Beton-Art und Traglast muss die Bewehrung normgemäß von mindestens 2,5 Zentimetern Beton überdeckt sein, damit sie vor Umwelteinflüssen geschützt ist.
Und gänzlich ohne umfassende Bewehrung geht es ebenfalls nicht, denn Beton kann extremen Druck aushalten, Zug- und somit Biegekräfte verträgt er jedoch deutlich schlechter. Aus diesen Gründen sind die meisten Bauteile aus Beton wesentlich voluminöser, als sie es sein müssten.
Stahl ist nicht das einzige taugliche Bewehrungsmittel. Kohlefasern haben pro Quadratmillimeter Querschnitt eine etwa fünfmal so hohe Zugfestigkeit wie Armierungsstahl. Außerdem korrodieren sie nicht, wodurch keine dicke Betonüberdeckung nötig ist. Bedeutet: Wesentlich weniger Betonverbrauch für dieselbe Leistungsfähigkeit in Sachen Zugbelastung.
Das Ergebnis sind Betonbauteile, die je nach Benutzung so filigran ausfallen können, dass sie auf den Betrachter fast wie Gusseisen wirken. Derzeit wird unter anderem an der HTWK Leipzig intensiv an dem Material geforscht. Dort wurde zudem schon eine Modellfabrik für vorgefertigte Carbonbetonbauteile errichtet.
In der Praxis wird der Beton traditionell angemischt. Je nach Formgebung und benötigter Traglast wird er anschließend entweder mit dicken Stäben aus Kohlefasergewebe armiert oder mit Maschendraht-artigem Gewebe aus demselben Material. Letzteres kann zudem in 3D-Druckern mit einer speziellen Oberflächenstruktur versehen werden.
Dadurch entsteht einerseits eine besonders gute Verbindung (und somit Kraftübertragung) zwischen Kohlefasern und Beton. Andererseits kann die Formgebung ganz gezielt erfolgen, um besonders hohe Kräfte aus der zu erwartenden Belastungsrichtung aufnehmen zu können.
Dazu passt ein weiterer Forschungsansatz: Derzeit ist es auf Laborebene bereits möglich, Kohlendioxid zu hochreinem Kohlenstoff umzuwandeln. Auf industriellem Niveau könnte das für eine Entwicklung sorgen, die Beton dereinst tatsächlich sogar CO2-negativ macht.
2. Wellpappe
Nein, mit dieser Zwischenüberschrift meinen wir weder ein Baumaterial für Kinderspielhäuser noch für Gebäude in sehr regenarmen Weltregionen. Tatsächlich sprechen wir von vollwertigen, ganzjährig in unseren Breiten benutzbaren Bauten. Denn ganz ähnlich wie das Grundmaterial selbst, so ist auch der Baustoff Wellpappe ein hochflexibler, schichtweise aufgebauter Werkstoff. Folgendermaßen ist er von innen nach außen aufgebaut:
- Zirka zwei Dutzend miteinander durch einen umweltverträglichen Kleber verleimte Pappschichten, hergestellt mit Holz aus kontrolliertem Anbau.
- Eine dünne Holzverkleidung zur Stabilisierung.
- Eine speziell entwickelte, atmungsaktive Membran als wetterfeste Außenhülle.
Diese Sandwich-Bauweise existiert nicht nur im Labor, sondern in Form einer niederländischen Tiny-House-Entwicklung: Wikkelhouse nennt sich das Projekt. Es besteht aus mehreren vorgefertigten Segmenten, die nach der vorgezeichneten Methode konstruiert („gewickelt“) sind. Sie sind 450 Zentimeter lang, 120 breit und 350 hoch.
Daraus lassen sich nach Wunsch unterschiedlichste Häuser herstellen. Gedacht sind sie für eine Lebensdauer von mehreren Jahrzehnten, wobei sich durch den Austausch der Membran noch mehr erreichen lässt. Am Lebensende ist das gesamte Gebäude recycelbar.
Mehrere Dutzend Wickelhäuser wurden schon verkauft und haben sich unter anderem als Ferienhäuser bereits seit Jahren bewährt. Ein weiterer Vorteil: Die Preise sind unschlagbar günstig und beginnen bereits bei 40.000 Euro.
3. Stroh
Strohballen auf abgeernteten Feldern dürfte jeder kennen, der schon einmal im Spätsommer durch ländliche Gebiete gereist ist. Sie, respektive ihr Grundmaterial, sind ein typisches Abfallprodukt, das hauptsächlich in der Tierhaltung als Einstreu verwendet wird; dazu als Ausgangsstoff für Hüte, Korbprodukte und Fußmatten.
Doch schon vor Jahren fanden Forscher etwas heraus. Wenn man Stroh nicht nur locker, sondern mit einem wahrhaft gigantischen Druck verpresst, dann wird daraus ein überaus stabiles, tragfähiges Baumaterial – das zudem spottbillig und ökologisch völlig unbedenklich ist.
Derart aufbereitet kann das einstige Abfallprodukt architektonisch auf zweierlei Arten genutzt werden, dafür gibt es sogar umfassende Baustoffnormen:
- Als Ausfachung ohne tragende Funktion bei Holzständerbauweisen. Sozusagen also ein Ersatz für andere ausfachende Dämmmaterialien. Das funktioniert, weil selbst stark verpresstes Stroh gute Wärmedurchgangskoeffizienten aufweist.
- Lasttragend, also mit den Strohblöcken als vollwertiger Ersatz für beispielsweise tragende Mauersteine.
Beides ist praktisch machbar, jedoch sind in Deutschland ohne Sondergenehmigung nur nichttragende Strohgebäude möglich. Insbesondere einstöckige Bungalow-Konstruktionen können eine solche Genehmigung jedoch relativ problemlos erhalten.
Da das Stroh besonders intensiv ausgedroschen wurde und außerdem innen und außen sorgfältig mit Putz und anderen Materialien verkleidet wird, sind „lebende Bewohner“ kein Problem. Für diese sind die Strohballen zudem deutlich zu fest verpresst. Über 1.000 Gebäude wurden allein in Deutschland schon aus diesem Material errichtet – Tendenz steigend.
4. Hanfkalk
Hanf ist eine der ältesten Kulturpflanzen der Welt und dank seiner strapazierfähigen, holzigen Fasern extrem vielfältig einsetzbar. Da viele Hanfsorten jedoch in ihren Blüten das berauschende THC enthalten, wurde der Anbau schon vor vielen Jahrzehnten in sehr vielen Staaten rigoros verboten.
Es ist vor allem unermüdlicher Lobby- und Züchterarbeit zu verdanken, dass dieser Zustand sich seit wenigen Jahren ändert. Es wurden Hanfsorten gezüchtet, in denen praktisch kein THC mehr produziert wird. Doch erst der Lobbyismus konnte unter anderem in Deutschland für eine Freigabe dieser Nutzhanfsorten sorgen.
Heute werden allein bei uns knapp 7.000 Hektar davon angebaut. Davon profitiert die Bauwirtschaft – zukünftig vielleicht sogar noch stärker. Denn wenn man gehäckselten Hanf mit Kalk und Wasser vermengt, dann entsteht ein leichter, offenporiger Plattenbaustoff.
Schon seit einigen Jahren ist dieser Hanfkalk (teilweise unrichtig als „Hanfbeton“ bezeichnet) ein hochbeliebter, da günstiger und ökologisch unbedenklicher, Dämmstoff.
In dieser Form kann er jedoch nicht genügend Lasten aufnehmen, um als selbstragender Baustoff eingesetzt zu werden. In der Richtung wird derzeit ebenfalls umfassend geforscht. Mit anderen Zuschlagstoffen könnte Hanf zukünftig durchaus ein Potenzial wie Stroh bekommen, also selbsttragende Häuser gestatten.
5. Kunststoff (aus Plastikflaschen)
Wer sich häufig Selbermacher-Videos auf YouTube oder TikTok ansieht, wird vielleicht solche Clips kennen, in denen Plastikflaschen von einer kleinen Maschine zerschnitten, zu Filament geschmolzen und dann in einem 3D-Drucker verarbeitet werden – eine sparsame und völlig brauchbare Herangehensweise.
Allerdings ist das Recycling von Plastikflaschen (einer der größten einzelnen Plastikmüllemittenten überhaupt) definitiv nicht auf derartige Anwendungen beschränkt. Ähnliches gilt für den 3D-Druck.
Schon seit einigen Jahren werden deutlich größere 3D-Drucker genutzt, um Häuser zu errichten – diese Drucker nutzen allerdings konventionellen Beton. Ein Unternehmen aus Los Angeles hingegen fertigt seit kurzer Zeit vorproduzierte, teils modulare Häuser und Hauselemente, bei denen das gesamte Ausgangsmaterial aus alten Kunststoffflaschen besteht, die per 3D-Drucker verarbeitet wurden.
Natürlich sind dafür „etwas“ größere Plastikmengen nötig als bei 3D-druckenden Selbermachern zuhause. Dafür jedoch wird auf einen Schlag eine enorme Menge Plastikmüll umgewandelt. In Verbindung mit der nahezu grenzenlosen Formbarkeit per Drucker entsteht so eine Herangehensweise, die in den kommenden Jahren sicherlich noch einige Erfolge feiern dürfte.
Dazu trägt nicht zuletzt die gesteigerte Leistungsfähigkeit von Computern bei: Dadurch ist es möglich, extrem komplexe geometrische Formen zu erschaffen, die mit geringstem Materialeinsatz dennoch eine überragende Stabilität erschaffen – etwa die Tragfähigkeit einer Deckenkonstruktion. Dadurch könnten selbst aus einem eigentlich schwachen Material wie dem Kunststoff von Lebensmittelverpackungen Bauteile gedruckt werden, die nicht weniger tragen können als eine massive Betondecke – bloß mit einem deutlich kleineren Eigengewicht, Fußabdruck und Preisschild.